Stigma und Scham bei psychischen Störungen
- Julia Majon

- 1. Nov. 2021
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 11. Dez. 2021
Kann ich etwas tun gegen gesellschaftliche Vorurteile?

Menschen mit psychischen Erkrankungen wird mit einer Vielzahl an Vorurteilen, Falschinformationen und Diskriminierung begegnet. Asmus Finzen (2001) bezeichnet das Stigma psychischer Störungen als „zweite Krankheit“, welche von den Betroffenen so belastend empfunden werde wie die psychische Erkrankung selbst.
„Die Auswirkungen des Stigmas auf das Leben eines Menschen können ebenso schädlich sein wie die direkten Auswirkungen der Erkrankung.“
(Eigene Übersetzung; Original: "[S]tigma's impact on a person's life may be as harmful as the direct effects of the disease." (Corrigan & Penn, 1999, S. 765)
Verleugnen und Verschweigen der eigenen schambehafteten psychischen Erkrankung
Um sich nicht das Stigma zuschreiben oder diskriminierende Handlungen ertragen zu müssen, machen sich viele Menschen nicht bewusst, dass sie Symptome einer psychischen Erkrankung zeigen (wie depressive Verstimmung, Ängste, problematisches Konsumverhalten etwa von Alkohol oder Drogen). Einigen Menschen ist zwar bewusst, dass sie (wahrscheinlich) an einer psychischen Störung leiden, jedoch suchen sie sich auch dann oft keine professionelle Hilfe.
Sicher ist auch die mangelhafte medizinische Versorgung mit Wartezeiten von im Schnitt fünf Monaten für einen Psychotherapieplatz (Bundespsychotherapeutenkammer, 2018) ein Grund, weswegen viele Betroffene nicht professionelle Unterstützung erhalten. Jedoch erklärt das nur teilweise, weswegen lediglich 18,9% derer mit psychischer Erkrankung in Kontakt mit Leistungsanbietern sind (Mack et al., 2014). Die Scham bzgl. der Symptome trägt einen erheblichen Anteil daran. Und selbst Betroffene einer psychischen Erkrankung, die es „gewagt“ haben, Hilfe in Anspruch zu nehmen, leiden häufig unter dem Stigma.
Auf Abwegen und Umwegen
Mit einer befreundeten Illustratorin, Andrea, habe ich in den Jahren 2019 und 2020 zusammen eine illustrierte fiktive Geschichte geschrieben: Auf Abwegen und Umwegen: über die Scham einer Gepardin wegen ihrer psychischen Erkrankung. Das Buch ist auf Grundlage einer Umfrage mit 250 Betroffenen entstanden. In dieser Umfrage haben wir unter anderem die folgende Frage gestellt:
„Welche Gedanken helfen Ihnen, mit der Scham bzgl. Ihrer psychischen Störung umzugehen?“
Ich möchte einige Zitate daraus hier teilen, weil es vielleicht anderen Betroffenen helfen könnte. Außerdem könnte Nicht-Betroffenen dadurch die Stigmaproblematik nochmal bewusster gemacht und hilfreiche Haltungen vermittelt werden (entnommen aus Auf Abwegen und Umwegen, S. 273f.) :
„Ich bin, wie ich bin, und habe halt meine Geschichte zu tragen“
„Ich denke dann daran, warum ich diese Erkrankung habe, und sage mir, dass es nicht meine Schuld ist [...]“
„Jeder schämt sich für etwas.“
„Nur weil mir Leute sagen, dass ich ‚ja nicht wirklich krank bin‘, muss das noch lange nicht der Wahrheit entsprechen.“
„Ich weiß, dass ich kompetent bin, dass meine Krankheit EIN Teil von mir ist und mein Leben nicht beherrschen muss. Durch meine Erfahrungen sehe ich die Welt differenzierter“
„Ich bin krank, andere nicht und grade deswegen ist es eine Leistung, was ich alles schaffe trotz Krankheit.“
Für zum Thema passende, auf www.deinpsychischesimmunsystem.de/4-wochen-online-kurse angebotene Online-Video-Kurse, einfach auf das Play-Symbol klicken.
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Literatur:
- Bundespsychotherapeutenkammer (2018). Ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie-Richtlinie: Wartezeiten 2018. https://www.bptk.de/publikationen/bptk-studie/. Zugegriffen: 1. Dez. 2018
- Corrigan, P. W. & Penn, D. L. (1999). Lessons from social psychology on discrediting psychiatric stigma. American Psychologist, 54, 765-776.
- Finzen, A. (Hrsg.) (2001). Psychose und Stigma. Stigmabewältigung – zum Umgang mit Vorurteilen und Schuldzuweisung (2. Aufl.). Bonn: Psychiatrie Verlag.
- Mack S., Jacobi F., Gerschler A. et al. (2014). Self‐reported utilization of mental health services in the adult German population–evidence for unmet needs? Results of the DEGS1‐Mental Health Module (DEGS1‐MH). International Journal of Methods in Psychiatric Research 23, 289–303.
- Majon, J. & Schenn, A. (2020). Auf Abwegen und Umwegen. Hamburg: tredition.




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